Der Goslarer Kreisverband der Partei „Alternative für Deutschland„ veröffentliche bereits am 14. November 2020 einen Gastbeitrag auf ihrer Homepage unter dem Titel „Requiem Germania“[1]. Der Beitrag zeichnet sich durch bewussten Geschichtsrevisionismus und Verharmlosung der staatlich organisierten Verfolgung von Jüd*innen im Nationalsozialismus aus.
Bereits in der Einleitung wird die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in direkten Vergleich mit der DDR gesetzt und somit eine Umkehr der ideologischen Verortung der NSDAP vorgenommen. Unter Zuhilfenahme eines entkontextualisierten Zitates des damaligen Propagandaministers Joseph Goebbels, soll den Lesenden des Beitrages der Standpunkt vermittelt werden, dass der Nationalsozialismus eine per se linke Ideologie war. Durch die direkte Erwähnung der DDR wird somit eine vermeintlich linke beziehungsweise sozialistische Kontinuität in der deutschen Geschichte konstruiert, die jeglicher politikwissenschaftlicher und historischer Grundlage entbehrt.
Ein direkter Fall von Geschichtsrevisionismus findet sich im darauffolgenden Absatz; der Autor vergleicht den kürzlich beschlossene Gesetzesentwurf im Rahmen der Maßnahmen gegen das Coronavirus mit dem von den Nationalsozialisten 1933 beschlossenen Ermächtigungsgesetz. Jenes Gesetz, das am 23.03.1933 auf Initiative der NSDAP im Reichstag verabschiedet wurde und Hitlers Regierung die vollumfassende diktatorische Machtausübung und Gesetzgebung ohne Zustimmung des Parlaments ermöglichte [2]. Dieses Gesetz war somit ein zentraler Baustein in der Errichtung und Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland. Das im vergangenen November vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz, das in dem vorliegenden Gastbeitrag in diesen historischen Vergleich gesetzt wird, regelt hingegen behördliche Befugnisse für Einschränkungen bei Vorliegen einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ [3]. Diese Einschränkungen sind jedoch engmaschig an die mehrheitliche Entscheidung diverser legislativer Institutionen gebunden, um einem Missbrauch der möglichen Befugnisse vorzubeugen. Auch der Beschluss des aktuellen Gesetzes mit dem offiziellen Namen „Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ erfolgte, anders als 1933, in einem vollständig besetzten und demokratischen Parlament.
Während sich die AfD fortlaufend versucht, in eine Opferrolle zu drängen, hatte sie beziehungsweise ihre Bundestagsabgeordneten vergangenen Monat die Möglichkeit, mit ihrer Zustimmung bzw. Ablehnung per Stimmabgabe am demokratischen gesetzgebenden Prozess teilzunehmen. Dieses Recht blieb den Abgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands 1933 versagt – sie wurden bereits Wochen zuvor ihrer Sitze im Reichstag unrechtmäßig entbunden [2].
Bereits im Anschluss an diese Behauptung versucht der Autor, die derzeitigen Hygienemaßnahmen mit den antisemitischen Diskriminierungsmaßnahmen gegen Jüd*innen im Dritten Reich gleichzusetzen; während das an dieser Textstelle noch in Form einer rhetorischen Frage und entsprechender Andeutung geschieht, scheut er sich nicht, wenige Absätze weiter anhand eines persönlichen Beispiels diese Relativierung offen auszudrücken. So habe er – aufgrund eines fehlenden Mund-Nasen-Schutzes – ein Ladengeschäft in der Goslarer Altstadt nicht betreten dürfen, da ihm der Eintritt durch die Besitzerin untersagt worden wäre. Daraufhin führt der Autor als wörtliches Zitat an, was er in dieser Situation der Ladenbesitzerin entgegnet habe:
Der Autor zieht hier einen direkten Vergleich zum Kennzeichen für Jüd*innen in Deutschland (ab 1941) und den von Deutschland besetzten Gebieten (ab 1939) zum Mund-Nasen-Schutz [4]. Jüd*innen wurden per Gesetz gezwungen, einen gelben Davidstern sichtbar auf ihrer Kleidung zu tragen [4, 5]. Dieser Stern bildete eine weitere diskriminierende Maßnahme, steht sinnbildlich für den nationalsozialistischen Antisemitismus und war mitsamt den dazugehörigen Einschränkungen und Verboten Wegbereiter für den staatlich organisierten Massenmord am europäischen Judentum [4, 6]. Das verpflichtende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, welcher nachweislich die Verbreitung des Corona-Virus eindämmt [7, 8, 9], mit dem Tragen des Judensterns zu vergleichen, stellt eine offene Verharmlosung des Antisemitismus, der nationalsozialistischen Diktatur und im weiteren Schritt der Shoah dar.
Die Recherche- & Informationsstelle Antisemitismus wurde auf den Beitrag auf der AfD-Homepage aufmerksam und berichtete am 03. Dezember auf der Plattform Twitter darüber:
Auch wenn der AfD Kreisverband Goslar versucht, sich für solche Gast-Beiträge aus der Verantwortung zu ziehen, indem er erklärt, dass „namentlich gekennzeichnete Beiträge […] nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder[geben]“[1] obliegt es ihm, welche Kommentare und Meinungen er auf seinen eigenen Internetpräsenzen veröffentlicht. Die AfD Goslar bietet hiermit relativierenden und geschichtsrevisionistischen Positionen eine öffentliche Plattform. Für den Fall, dass diese Positionen tatsächlich nicht denen des Kreisverbandes entsprechen sollten, muss dieser sich trotzdem die Frage gefallen lassen, warum er dann die Verbreitung dessen ermöglicht und fördert.
Quellen:
[1] AfD Kreisverband Goslar (2020). Requiem Germania. https://afd-goslar.de/requiem-germania/
[2] Scriba, A. (2015). Das ‚Ermächtigungsgesetz‘ von 1933. Deutsches Historisches Museum. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung-der-ns-herrschaft/ermaechtigungsgesetz.html
[3] Bundesministerium für Gesundheit (2020). Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/drittes-bevoelkerungsschutzgesetz.html
[4] Hasselbach, C. (2016). Der Stern, der Ächtung und Tod brachte. Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/der-stern-der-%C3%A4chtung-und-tod-brachte/a-19503066
[5] Jüdisches Museum Berlin (o.D.). Judenstern. https://www.jmberlin.de/dauerausstellung-13-dinge-judenstern
[6] Stiebert, M. (2001). Der ‚Judenstern‘: Zeichen der Verfolgung. Norddeutscher Rundfunk. https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Zeichen-der-Verfolgung,judenstern100.html
[7] Eikenberry et al. (2020). To mask or not to mask: Modeling the potential for face mask use by the general public to curtail the COVID-19 pandemic. Infectious Disease Modelling (S. 293-308). https://reader.elsevier.com/reader/sd/pii/S2468042720300117?token=3B80C0D0BA795C51DC11C61689EFCDC79B50B752F8D8A11FD98988E685C4D019C6E125AB3F9A910D289BEF4D663E0C63
[8] Cheng et al. (2020). The role of community wide wearing of face mask for control of coronavirus disease 2019 (COVID-19) epidemic due to SARS-CoV-2. Journal of Infection (S. 107-114). https://www.journalofinfection.com/article/S0163-4453(20)30235-8/fulltext
[9] Liang et al. (2020). Efficacy of face mask in preventing respiratory virus transmission: A systematic review and meta-analysis. Travel Medicine and Infectious Disease. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7253999/